Andacht zum Monatsspruch Oktober 2018

Monatsspruch Oktober 2018

All mein Sehnen, Herr, liegt offen vor dir, mein Seufzen ist Dir nicht verborgen.

Psalm 38,10

 

Sie saß in dem großen Ohrensessel, den schon ihr Vater so liebte. Klein war sie geworden in den letzten Monaten. Gestern war ihr 89. Geburtstag gewesen.
Wir kannten uns seit Jahren. Lange Zeit saß sie jeden Sonntag auf ihrem Stammplatz in der Kirche. In letzter Zeit konnte sie das leider nicht mehr.
Voller Bewunderung hörte ich ihr zu, wenn sie aus ihrem Leben erzählte.
Die unbeschwerte Kindheit auf dem Lande. Dass sie damals schon früh auf dem Hof mitarbeiten musste, das störte sie nicht. Das ging ja allen Kindern so in dem kleinen Dorf.
Die Jugend im Krieg. Dann wurde ihr Verlobter gegen Ende des Krieges doch noch eingezogen. Gezeichnet kehrte er aus der Kriegsgefangenschaft heim. Der Hof wimmelte inzwischen von Menschen. Einquartierungen von Geflüchteten.
Sie erzählte von guten Jahren und sie erzählte von harten Jahren. Sie erzählte davon, wie ihr Mann eines Tages von der Waldarbeit nicht wiederkam. Sein noch recht junges Herz hatte aufgehört zu schlagen.
Sie erzählte davon, wie sie den Hof so lange führte, bis die Söhne alt genug waren. Und sie erzählte von Kindern, Enkeln und inzwischen Urenkeln. Von Freuden und Leiden, Unglück und Glück.
Wir beiden wussten, dass sie nicht mehr lange leben würde, und sie zog Bilanz im Hinblick auf ihr sehr bewegtes Leben.
Ich sprach sie direkt an auf die dunklen Zeiten in ihrem Leben. Und ich fragte die fromme alte Dame, ob sie nicht an Gott gezweifelt habe in jener Zeit.
Sie richtete sich etwas auf. „Nein“, sagte sie. „Wenn es hart auf hart kam, dann war mir Gott nahe.“ Gerade in den schwierigen Zeiten war ihr Glaube ihr wichtig; da war ihr wichtig, dass sie sich in ihrer Verzweiflung an Gott wenden konnte. Seine Nähe gab ihr Trost und Hoffnung. „Wir haben doch keinen Schönwetterglauben, Herr Pastor“ unterstrich sie ihre Erzählung.
Inzwischen habe ich die alte Dame schon lange beerdigt. Aber sie begleitet mich trotzdem weiter. „Gerade wenn es hart auf hart kommt, ist mein Gott mir nahe.“ Das ging dem Psalmbeter vor 3000 Jahren so, und der alten Dame in der Heide.
Und uns wird es hoffentlich auch so gehen.

Ihr Christian Berndt,
Superintendent
im Kirchenkreis Winsen (Luhe)